Was mir niemand gesagt hat, bevor ich allein ans andere Ende der Welt gezogen bin
Ich dachte, ich wäre vorbereitet. Ich war in der Schulzeit schon einmal für ein Austauschjahr in den USA. Ich bin viel gereist, oft allein, teilweise wochenlang und habe diese Zeiten mehr als genossen. Ich hatte keine Zweifel, dass ich auch mein PJ in Chile meistern würde. Und ja, ich liebe es hier. Über alles. Aber es gab Dinge, auf die mich niemand vorbereitet hat. Der Unterschied zwischen in einem anderen Land zu reisen und in einem anderen Land zu leben ist riesig.
Der erste Monat war traumhaft. Kein Zeitdruck, keine Fristen, ich konnte mich treiben lassen, die Stadt erkunden, tanzen, ankommen. Aber als das Praktikum begann, wurde der Alltag fordernder. Die Arbeitszeiten lang, die Aufgaben intensiver. Trotzdem wollte ich nichts aufgeben. Nicht das Tanzen, nicht die sozialen Kontakte, nicht meine Freiheit. Ich bin immer wieder über meine Grenzen gegangen um nichts zu verpassen.
Mit der Zeit häuften sich die Momente, die einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen haben. Ärztinnen, die auf Spanisch über mich gesprochen haben und dachten, ich verstehe nichts. Herablassende Fragen, die mir das Gefühl gaben, nicht ernst genommen zu werden. Nicht weil ich zu wenig wusste, sondern weil ich nicht perfekt Spanisch spreche. Als ob Sprache gleich Intelligenz wäre. Im Tanzunterricht: liebevolle Menschen, keine Frage. Aber trotzdem kein echtes Dazugehören. Gruppengesprächen zu folgen ist etwas anderes als mit einer Person zu sprechen. Manchmal reicht ein verpasstes Lachen, ein Satz, den man nicht versteht und plötzlich fühlt man sich außen vor. Fremd.
Dann die nächste Phase der Unsicherheit. Die Suche nach einem neuen Praktikumsplatz. Die Situation zieht sich schon über Wochen. Ständige Anspannung, Planungsdruck, schlaflose Nächte. Ich habe gemerkt, dass mir hier mein Rückzugsort fehlt. Daheim war es meine Wohnung. Oder das Tanzstudio. Wenn mir alles zu viel wurde, konnte ich mich dorthin zurückziehen. Ich hatte Menschen, bei denen ich mich nicht erklären musste. Orte, an denen ich frei atmen konnte. Hier fehlt mir beides. Wenn es mir nicht gut geht, gibt es niemanden, bei dem ich einfach so vorbeischauen kann. Kein Ort, an dem ich mich fallen lassen kann, ohne vorher planen zu müssen. Niemand hat mich gewarnt wie schwer das sein kann.
Ich war nicht darauf vorbereitet, jeden Tag eine unterschwellige Anspannung in mir zu tragen. Wie Zu funktionieren, ohne sich innerlich sicher zu fühlen. In Deutschland hatte ich viele kleine Krücken, die mir diese Sicherheit gegeben haben. Menschen, Orte, Routinen. Hier fehlen sie.
Und genau das ist die Lektion, die ich gerade lerne. Die wir alle irgendwann lernen müssen.
Mir selbst mein Zuhause zu sein. Mich in mir selbst sicher zu fühlen. Denn das ist das Einzige, was mir niemand nehmen kann. Nicht zu hoffen den perfekten Ort zu finden. Oder dass jemand auftaucht, der mir meine Sorgen nimmt. Sondern zu wissen, dass ich mir selbst genüge. Dass ich mir selbst Stabilität geben kann, Sicherheit und Halt. Am Ende sind es nicht Orte oder andere Menschen, die uns tragen. Sie können uns zwar stützen, aber wenn sie wegfallen, müssen wir allein stehen.