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Ich bin noch nicht bereit zu gehen – Praktisches Jahr Update

von | Juli 22, 2025 | Memories | 0 Kommentare

Meine Entscheidung, für mein Chirurgie Tertial nach Concepción zu ziehen, ist nach wie vor die beste gewesen, die ich hätte treffen können. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich in mein Leben hier so sehr verlieben würde, wie ich es getan habe. Schon in den ersten Tagen hatte ich das Gefühl hier eine zweite Heimat gefunden zu haben. Und ich weiß immer noch nicht genau warum.

Der erste Monat fühlte sich wie Urlaub an. Kein Druck, keine Fristen, mein Alltag bestand aus selbstgewählten Aufgaben: Ankommen, Tanzschulen erkunden, an meiner Doktorarbeit schreiben. Aber mit Beginn des Praktikums veränderte sich alles. Nicht plötzlich, sondern langsam. Die Tage wurden voller, der Stress wuchs. Lange Klinikschichten, danach trotzdem noch Tanztraining, Freundschaften, Aktivitäten. Ich wollte nichts aufgeben, war aber bald dauerhaft über meine Kräfte hinaus.

Mein PJ in der Chirurgie ist überwiegend spannend, je nachdem, bei welchen Ärzten ich eingeteilt bin und wie viel Zeit diese für Erklärungen haben. Dass ich Chirurgie jemals als spannend beschreiben würde, hat mich selbst am meisten geschockt, und auch wenn der OP Saal nie mein Lieblingsort wird, so hatte ich doch die Gelegenheit, echt coole Sachen zu sehen. Und witzige Gespräche mit den Chirurgen zu führen. Allem voran, auf die Frage, wann ich denn langsam schwanger werden möchte, zu antworten, dass ich noch zu jung sei, um Kinder zu bekommen. Hab da kurzfristig vergessen,  dass ich mit 28 wohl offiziell nicht mehr als „zu jung“ gelte.

Noch viel interessanter sind allerdings meine kurzen Abstecher in die Innere Medizin. Ich bin dort auf einen Arzt getroffen, der es geschafft hat, meine Einstellung gegenüber Krankenhäusern zu ändern. Während meines gesamten Studiums habe ich immer wieder hinterfragt, ob dieses Studium wirklich mein Weg ist. Ob ich es mir überhaupt vorstellen kann, als Ärztin zu arbeiten. Ich war noch nie der größte Krankenhaus Fan, und nach meinen Rücken OPs habe ich Krankenhäuser mit einer Leidenschaft gehasst. Ich wusste, dass ich meinen Facharzt in einem machen muss, und habe auch schon ein Krankenhaus im Visier, das sich perfekt für mich anhört und bei dem ich mich später unbedingt bewerben möchte. Etwas kleiner, schöne Lage, unterstützendes Team und offen für komplementäre Ansätze – mein Traumkrankenhaus. Aber trotzdem gab es immer diese Stimme in meinem Kopf, die sagt: Krankenhaus, egal welches, Katastrophe. Mein Krankenhaus hier ist eines der größten öffentlichen Krankenhäuser in Chile. Und ich kann es nicht schönreden, ziemlich hässlich. Es gibt bis zu zwölf Patienten in den Zimmern, teilweise im Keller, teilweise keine oder nur kleine Fenster. Es ist eng, trist und grau. Vollkommen überfüllt, und kein Wunder, dass viele der Krankenpfleger und Ärzte gestresst sind. Und trotzdem habe ich fast nur gute Erfahrungen gesammelt. Vor allem mit dem Infektiologie Team der Inneren Medizin. Ein Fachbereich, von dem ich nie dachte, dass er mich interessieren wird, zu dem ich jetzt immer gehe, wenn ich mal eine freie Minute habe. Einfach, weil die Ärzte und das Team der Hammer sind. Durch den Oberarzt Dr. Mella wurde nicht nur mein Interesse an dem Fach geweckt, sondern zum ersten Mal kam in mir das Gefühl auf, dass ich mich in einem Krankenhaus sehen kann. Mit dem richtigen Team, selbst wenn das Umfeld suboptimal ist, kann die Arbeit zwar anspruchsvoll, aber auch erfüllend sein.

Neben meinem Alltag im Krankenhaus habe ich mir auch endlich ein Umfeld und Leben aufgebaut, das ich so genieße, dass ich eigentlich noch gar nicht bereit bin, bald nach Deutschland zurückzukehren. Ich habe Tanzstunden und einen Tanzlehrer, den ich über alles liebe. Physiotherapie mit einem Therapeuten, der der Hammer ist, und Freunde, um meine Freizeit zu genießen. Auf Papier lebe ich gerade meinen Traum. Auf Papier weiß ich, wie dankbar ich sein sollte und wie privilegiert ich bin, hier zu sein. In der Realität bin ich zwar dankbar, aber zur Zeit auch emotional am Ende.

Eigentlich sollte ich im September mein Inneres Tertial in Spanien absolvieren. Der Platz war gesichert, ich hatte die Zusage, aber dann gab es irgendwelche administrativen Probleme, was meinen Aufenthalt nun nicht möglich macht. Nach dieser Nachricht war ich anfangs allerdings weniger traurig, sondern eher aufgeregt, weil mir die Idee kam, dass ich eventuell die Möglichkeit hätte, hier zu bleiben. Aus Erfahrung wusste ich bereits, wie gut die Innere Medizin in meinem jetzigen Krankenhaus ist, und nach einigen E-Mails bekam ich die Erlaubnis meiner Uni, einen Sonderantrag zu stellen, um zu bleiben. Mein absoluter Traum, noch nicht gehen zu müssen und meine Zeit hier bis Dezember zu verlängern, schien greifbar nah. Das Krankenhaus hier hat zugestimmt. Das internationale Büro meinte, ich bin eh bis Dezember als Studentin eingeschrieben, und es gibt absolut kein Problem. Die verantwortliche Person in der medizinischen Fakultät und die letzte Zustimmung, der es bedarf, sagte nein. Nicht, weil es nicht möglich wäre, sondern weil sie mich nicht mag – zumindest wurde mir das so über Umwege mitgeteilt. Nicht, dass sie mir das persönlich gesagt hätte. Von ihr habe ich weder eine Erklärung bekommen noch einen Termin für ein persönliches Gespräch, um eine Lösung für die Situation zu finden. Damit bin ich an einem Punkt, wo eine Person über meine medizinische Laufbahn und mein Leben bestimmt, die mich zweimal gesehen hat und nicht kennt.

Ich habe ein Team von Ärzten und Oberärzten hinter mir, die wollen, dass ich bleiben kann. Ich habe all die Unterstützung. Einen Oberarzt, der sich für mich einsetzt. Freunde, die mir zur Seite stehen und mich aufmuntern. Mir sagen, dass wir die Zeit, die ich noch bis September habe, nutzen werden. Und dennoch fühle ich mich einsam. Das ist der Nachteil, wenn man alleine ans andere Ende der Welt zieht. Was einem nicht gesagt wird: tollen Menschen zu begegnen und Freundschaften zu schließen, aber es ist dennoch nicht das vertraute Umfeld von daheim. Hobbys zu haben und Orte, an denen man glücklich ist, aber dennoch fremd zu sein. Den Kontakt in die Heimat über Telefon aufrecht zu erhalten, aber keine Umarmung zu bekommen, wenn man sie gebrauchen könnte. Einsam zu sein, obwohl so viele Leute um einen herum sind. Und trotzdem nicht zurückkehren zu wollen. Ich weiß nicht, worin genau ich mich hier so verliebt habe, aber die Vorstellung, im September nach Deutschland zurückkehren zu müssen – vor allem, wenn so viel dafür sprach, zu bleiben – ist schmerzhaft. Und gleichzeitig eine von vielen Lektionen, die ich im Leben wahrscheinlich zu lernen habe. Das Hier und Jetzt zu genießen. Die letzten Wochen, die mir sicher bleiben, nicht von dem überschatten zu lassen, was hätte sein können. Jeden Moment zu nutzen, in dem Wissen, dass ich jederzeit zurückkehren kann. Und trotzdem noch offen zu sein dafür, dass sich ein Weg auftut, und ich eventuell bleiben kann…