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Der Weg, den wir nicht gehen wollen

von | Okt. 22, 2025 | Memories, Mindset | 0 Kommentare

Kennst du das, wenn du spürst, dass da etwas nicht stimmt – in einer Freundschaft, in einer Beziehung, in deinem Körper – und du trotzdem so tust, als wäre alles gut? Weil es einfacher ist, wegzuschauen, als hinzusehen. Weil du weißt, dass du, wenn du wirklich hinschaust, handeln müsstest. Und Handeln bedeutet Veränderung. Und Veränderung ist unangenehm, manchmal beängstigend und zwingt uns, etwas Altes loszulassen.

Ich glaube, wir alle haben diese Themen in unserem Leben, über die wir nicht sprechen wollen. Wir finden Ausreden, reden uns Dinge schön, hoffen, dass sich alles irgendwie von selbst klärt. Vielleicht merkst du, dass eine Freundschaft dir nicht mehr guttut, aber du bleibst, weil du Angst hast, allein zu sein. Vielleicht spürst du, dass du in deiner Beziehung längst nicht mehr du selbst bist, aber du hältst fest, weil du glaubst, das wäre besser, als alles zu verlieren. Oder du machst es wie ich und schaust einfach nicht hin.

Nach meinen Rückenoperationen hatte ich mir vorgenommen, regelmäßig zu den ärztlichen Kontrollen zu gehen. Ich wusste, es wäre wichtig. Ich wusste, dass ich die Verantwortung übernehmen sollte, um zu sehen, wie es meinem Körper wirklich geht. Aber ich tat es nicht. Knapp vier Jahre lang. Ich hatte unzählige Erklärungen: Was soll’s bringen? Ich würde mich sowieso nicht nochmal operieren lassen. Ich gehe ja zur Physiotherapie, ich tue ja etwas. Klingt logisch, oder? War es aber nicht. Es war Angst. Angst vor dem, was ich nicht hören wollte. Denn solange ich keine neuen Bilder hatte, konnte ich mir einreden, dass alles in Ordnung war.

Schließlich ging ich doch zum Arzt, nicht, weil ich wollte, sondern weil ich eindringlich dazu aufgefordert wurde. Neue Bildgebung, neue Fakten. Und natürlich kam das heraus, was ich eigentlich schon geahnt hatte. Das Implantat könnte verrutscht sein. Es gibt Abnutzungen, Veränderungen, Dinge, die man ernst nehmen sollte. Und wieder stand ich da, an diesem Punkt, an dem ich mich entscheiden musste: verdrängen oder hinschauen.

Ich brauchte lange, um zu verstehen, dass Wegsehen keine Lösung ist. Manchmal glauben wir, wenn wir etwas nicht anschauen, dann verschwindet es. Aber das tut es nicht. Es bleibt, still und beharrlich, und irgendwann holt es uns ein. Bei mir war es dieses Gefühl, keine Kontrolle zu haben – über meinen Körper, mein Leben, meine Zukunft. Und solange ich nicht hinschaute, konnte ich mir einreden, dass alles gut war. Es war bequemer. Ich musste mich nicht fragen, was ich noch tun kann. Aber genau darin lag das Problem.

Denn in dem Moment, in dem ich hinsah, als ich das Ergebnis schwarz auf weiß vor mir hatte, hatte ich plötzlich wieder eine Wahl. Ich konnte sagen: Ja, das ist die Situation. Aber sie definiert mich nicht. Ich kann trotzdem entscheiden, was ich daraus mache. Ich kann mir Hilfe suchen, neue Wege ausprobieren, alternative Ansätze erforschen. Ich kann die Verantwortung übernehmen.

Und das ist es, worum es eigentlich geht. Nicht darum, ob der Weg schön oder leicht ist, sondern darum, dass wir ihn überhaupt gehen. Auch wenn er uns Angst macht. Auch wenn wir wissen, dass er uns wehtun wird. Denn der Weg, den wir nicht gehen wollen, ist meistens genau der, der uns zu uns selbst führt.