Wenn Planung Sicherheit verspricht und Präsenz kostet…
Ich war noch nie der spontanste Mensch. Nicht weil ich es nicht sein möchte, sondern eher, weil ich sehr viele Dinge parallel mache und ums Planen einfach nicht herumkomme. Zumindest ist das eine meiner Ausreden. Mir wurde gesagt, dass sich das in Chile ändern wird und ich lockerer und spontaner werden werde, weil die Kultur hier eine ganz andere ist. Das hat leider nur bedingt geklappt.
Dafür habe ich es aber anscheinend gemeistert, mich immer mit Menschen anzufreunden, die mein komplettes Gegenteil sind. Einer von ihnen ist einer der spontansten Menschen, die ich je getroffen habe. Er ist schnell zu einer meiner Lieblingspersonen hier geworden. Nicht nur wegen seiner Spontanität, sondern auch wegen der Leichtigkeit und Lebensfreude, die er ausstrahlt. Überall da, wo ich angespannt oder steif bin, ist er selbstbewusst und locker. Ich denke, der größte Unterschied zwischen uns beiden ist, dass er viel mehr im Hier und Jetzt lebt und den Augenblick genießt. Während ich oft damit beschäftigt bin, zu überlegen, wann ich in der Zukunft wohl wieder so viel Spaß haben kann wie gerade in diesem Moment…
Als ich herausgefunden habe, dass ich nicht länger in Concepción bleiben kann, war meine erste Reaktion, mein nächstes Tertial zu planen. Ich habe einen Platz in Chemnitz, der sich enorm gut anhört, und weiß jetzt schon, welche Busse zu welchen Zeiten zu welchen Tanzschulen fahren. Wo es Fitnesscenter und Einkaufsläden gibt. Meine To-do-Liste an Orga-Aufgaben ist geschrieben, etc. Ich musste unbedingt sicherstellen, dass ich auch in der Zukunft wieder etwas erleben werde, worauf ich mich freuen kann. Ohne diese Planung wäre ich in Traurigkeit und Stress versunken. Seine erste Reaktion war: „Ist alles halb so wild.“ Dann nutzen wir einfach die Zeit, die dir hier noch bleibt, und genießen sie, auch wenn sie etwas kürzer ist. Sein Fokus: das Hier und Jetzt genießen. Mein Fokus: die Zukunft durchplanen – auch wenn sich bis dahin noch vieles ändern kann, ohne der Spontanität überhaupt eine Chance zu lassen, dass sich vielleicht etwas genauso Schönes von selbst ergibt.
Warum? Weil mir das Planen die Illusion von Sicherheit gibt. Das Gefühl, in Kontrolle zu sein. In den Momenten, in denen wir planen, flüchten wir uns in die Zukunft und müssen uns nicht mit der Gegenwart auseinandersetzen. Statt die Zeit zu genießen, die ich hier noch habe, verbrachte ich Tage damit, mir Sorgen über die Zukunft zu machen und darüber, was ich alles regeln sollte, damit ich dann die Zukunft genießen kann. Ich habe eisern die letzten Wochen hier durchgeplant, weil es mir danach ein kleines bisschen besser ging. Weil ich die Termine, die mir wichtig waren, in den Kalender eintragen konnte. Als wären sie damit fix. Nicht mehr verschiebbar oder absagbar, sondern sicher. Obwohl ich genau weiß, dass ich hier die Hälfte der Aktivitäten locker spontan machen könnte.
Die Planung hat mir letztendlich die Flucht ermöglicht, mich nicht mit meinen aktuellen Gefühlen auseinandersetzen zu müssen. Mit der Traurigkeit, einen Ort zu verlassen, der sich so schnell wie eine zweite Heimat angefühlt hat. Mit dem Gedanken, Tanzstunden aufzugeben, die gerade den Großteil meiner Lebensfreude ausmachen. Und vor allem mit dem Abschied von den paar Menschen, mit denen ich gerade angefangen habe, Freundschaften zu schließen – in der Angst, dass die Verbindung, die sich eben erst aufgebaut hat, die Distanz nicht überstehen wird.
Das Tragische ist, dass das Planen nie echte Sicherheit geben kann. Es gibt einfach zu viele Dinge, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Und oft entstehen die schönsten Erlebnisse genau dann, wenn sie ungeplant und spontan passieren. Wie oft habe ich schon im Voraus etwas organisiert, nur um dann festzustellen, dass ich in dem Moment eigentlich gar keine Lust mehr darauf hatte.
Mir ist bewusst, dass ich durch meinen Lebensstil nie vollkommen flexibel oder spontan sein kann, vielleicht auch gar nicht will. Dafür sind mir bestimmte Prioritäten wie Tanzstunden einfach zu wichtig. Aber eine der Lektionen, die ich mir hier mitgenommen habe bzw. noch lernen sollte ist, wieder mehr in der Gegenwart anzukommen. Den Augenblick bewusst zu erleben. So wie es mir hier vorgelebt wird.
Fällt es mir leicht? Absolut nicht. Stresse ich meine Freunde hier trotzdem mit meiner Vorausplanung? Auf jeden Fall. Hab ich schon Fortschritte gemacht? Ob man’s glaubt oder nicht, ja.
Ich bin hier auf jeden Fall (gezwungenermaßen) spontaner geworden aber noch viel wichtiger: Ich ertappe mich immer öfter, wenn ich in alte Muster falle. Wenn ich wieder voller Stress vorausplane, um „sicher“ zu sein und Probleme zu lösen, die es noch gar nicht gibt und vielleicht nie geben wird. Immer wenn ich mich bei dabei ertappe, atme ich bewusst durch und konzentriere mich auf den jetzigen Augenblick. Wo bin ich gerade, was sehe/ höre/ fühle ich. Ich konzentriere mich auf meinen Körper und werde mir in dem Moment bewusst, dass ich genau jetzt in diesem Augenblick sicher und präsent bin.